Qualen, Warten und ungewisses Wetter
Vor einer Stunde
hatte ich als Pilot eines einmotorigen Sportflugzeuges, einer Cessna, am Wiener
Flughafen um Starterlaubnis gebeten. Der Flugleitung teilte ich mit, dass ich
nach Salzburg fliegen wollte. Meinen Pilotenschein und andere Dokumente hatte man
geprüft und mein Ansuchen genehmigt, mich aber gleichzeitig vor einem aufziehenden
Tiefdruck gewarnt. Es wurden dicke, tiefliegende Wolken, heftiger Regen und
Gewitter erwartet. Das Unwetter
schien auch zuzunehmen, statt abzuklingen. Da mir mein Flugschein kein
Erlaubnis einräumte, nach Einbruch der Dunkelheit zu fliegen, würde ich
jedenfalls nicht vorm Morgengrauen starten können, und jetzt war ich mir nicht
mal sicher, ob ich eben dann – wegen des schlechten Wetters – starten könnte!
Im Warteraum in
dem ich nun ungeduldig auf das Morgenlicht wartete hingen an der Decke ein paar
lange fluoreszierende Röhrenlampen deren kaltes bläuliches Licht über die
spartanische Einrichtung fiel. Entlang einer der Wände stand eine lange
Holzbank worauf ich mich setzte, um die Zeit tot zu schlagen. Diese erschien
mir jedoch unendlich lang. Mein Blick fiel nun auf eine runde weiße Uhr mit
schwarzen Zeigern, die auf der gegengesetzten Wand hing. Sie bewegte sich kaum.
Jede Minute erschien mir wie eine Ewigkeit. Manchmal hatte ich den Eindruck,
als ob die Uhr stehengeblieben sei, dann aber rückte plötzlich der
Minutenzeiger ein Stück weiter, um mich darauf aufmerksam zu machen, dass eine
neue Ewigkeit begonnen hatte. Ich war furchtbar müde, erlaubte mir aber nicht
einzuschlafen, da ich mich auf keinen Fall verschlafen durfte.
Aus welchem
Grund saß ich eigentlich - in dieser
tiefen Nacht zum 19. August 1966 – auf einem scheinbar leeren Flugplatz, auf
die Dämmerung wartend. Der Grund hieß
Isolde. So bald es hell wurde, sollte ich
sie mit einem kleinen Sportflugzeug, das ich eben zu fliegen gelernt hatte, auf
einer Wiese in der Tschechoslowakei abholen und über den Eisernen Vorhang gen
Westen hinausfliegen.
Vor 16 Monaten
hatten wir uns in einem Zug am Ostberliner Hauptbahnhof getroffen. Nach drei Monaten trafen wir uns wieder, nach
weiteren drei Monaten waren wir uns sicher ein gemeinsames Leben führen zu
wollen, was leichter gesagt als getan war. Die Berliner Mauer war gerade mal
vier Jahre alt und sah überhaupt nicht brüchig aus. Für Isolde gab es keine
Chance auf legalem Weg aus der DDR zu mir nach Schweden zu kommen. Wir mussten
deshalb für sie einen Fluchtweg finden.
Viele Fragen häuften sich. Wie sollten wir
unsere Idee verwirklichen? Hatten wir überhaupt eine realistische Chance auf
Erfolg? Was konnten wir tun, um die Risiken zu minimieren? All dies hatten wir
diskutiert und so gut wie wir es vermochten beantwortet. Im Geheimen fragte ich
mich jedoch, ob Isolde, die mich letztlich nur sporadisch für kurze Zeit traf,
wirklich ihr Leben aufs Spiel setzen würde, um es mit mir zu teilen. Auch auf
diese Frage sollte ich schon bald eine Antwort bekommen.
Bereits von Anfang an verstanden wir wie
waghalsig unser Plan war, schoben doch, wie viele andere junge verliebte Paare,
unsere Ängste in den Hintergrund. Wir waren von
Hoffnung und romantischen Träumereien, aber auch von Unruhe und Sehnsucht
erfüllt. Als 26-jähriger wurde ich von einer intensiven, beinahe kindlichen
Anspannung vor dem bevorstehenden Abenteuer angespornt. Doch jetzt, als es
bereits vor der Tür stand, mich draußen in der Dunkelheit herausforderte,
erschien mir das Alles gar nicht mehr so verlockend. Statt mich romantischen
Gefühlen hinzugeben überkam mich eine ängstliche Beklommenheit vor dem was mit
uns geschehen könnte. Eine Menge unterschiedlichster Unfallszenarien
wanderten durch mein von Angst geplagtes Hirn.
Wir hatten jetzt den Höhepunkt eines zehn
Monate andauernden Wartens und detaillierten Vorbereitens erreicht. Trotzdem
gab es noch vieles was schief gehen könnte. Vielleicht würde ich nicht mal den
Platz finden, auf dem ich landen sollte. Obwohl ich das Feld selbst ausgewählt
hatte, war mir doch das umliegende Gebiet grössten Teils unbekannt. Ein Pilot
mit einem neulich erhaltenen Flugschein kann sich leicht in einem
ungewohnten Luftraum verirren. Meine praktische Ausbildung in Bezug auf
Navigation hatte nur ein paar Stunden gedauert, eine sehr kurze Zeit in
Anbetracht der Aufgabe vor der ich nun stand. Meine vorher empfundene
Begeisterung angesichts des geplanten Abenteuers hatte sich plötzlich in Luft
aufgelöst. Die Herausforderung, die bisher eine meiner Antriebskräfte war,
spornte mich nicht weiter an. Ich fühlte mich unwohl, hatte einfach Angst und
hätte am liebsten alles hingeschmissen, wenn ich Isolde nur in meine Arme hätte
schließen und ihre warme zarte Wange an die meine drücken können.
Ich stellte mir vor wie sie ganz alleine im
Dunkeln bei einem Rinnsal am Rande einer Weide auf der Ostseite der Grenze zur
Tschechoslowakei mit derselben Angst, die auch ich hatte, auf mich wartete.
Verglichen mit ihr hatte ich es bedeutend besser in einem, wenn auch
langweiligen doch trockenen, warmen und hell erleuchteten Raum, während sie
sich gegen Mücken in der feuchten Dunkelheit wehren musste und gleichzeitig
einen sicherlich noch schwereren Kampf gegen ihre Angst führte.
Nach einer guten Stunde verließ ich das
armselige Zimmer, um die Meteorologen aufzusuchen. Sie waren gerade damit
beschäftigt die aktuellen Wetterdaten zu analysieren mit allem was dazu
gehört wie Luftdruck, Temperatur, Windverhältnisse, etc. Wer sich schließlich
mir und meinem Anliegen widmete war ein etwas älterer Herr mit kahlem Scheitel,
grauen Haaren an den Schläfen, buschigen Augenbrauen, dazu einem üppigen
Schnurrbart sowie Koteletten, die bis zu den Mundwinkeln reichten. Ungefähr so
muss Kaiser Franz Josef mal ausgesehen haben, dachte ich. Als ich ihm zeigte
welche Route ich fliegen wollte, schüttelte er besorgt seinen Kopf und sprach:
-
Junger
Herr, für einen Flug in einer kleinen Cessna von hier nach Salzburg ist die
gegenwärtige Wetterlage wirklich nicht geeignet. Das zunehmende Unwetter wird
wahrscheinlich die restliche Nacht und den ganzen Vormittag dauern.
Dann fügte er hinzu, als ob er mich trösten
wollte, dass das Wetter gegen Mittagszeit etwas besser werden könnte. Für mich
war dies kein großer Trost. Ich bedankte mich aber höflich für seine
deprimierende Prognose, während ich mit hart auf einander gepressten Lippen
alle Wettermächte verfluchte, die sich versammelt hatten, um meine Pläne so
erbarmungslos zu durchkreuzen. Auf Grund eines anhaltenden Tiefdrucks war ich
also in eine Situation geraten, in der meine ganze Mühe, alle meine Pläne,
Vorbereitungen und Hoffnungen zwecklos erschienen, und buchstäblich dem Bach
herunter gespült werden konnten.
Seit einem knappen Jahr hatte ich wirklich
versucht alle Eventualitäten vorauszusehen. Jeder Schritt in der geplanten
Kette von vorhersehbaren Ereignissen war genau vorbereitet, jedenfalls so fern
es überhaupt möglich war. Von Anfang an war mir völlig bewusst, dass ich nichts
dem Zufall überlassen durfte, dass alles
im kleinsten Detail geplant und genau klappen musste. Aber wer zum Teufel kann
das Wetter planen!? Das gelang ja nicht mal bei der Invasion der Normandie, die
unbestreitbar ein etwas grösseres Projekt war, als das, worauf ich mich
eingelassen hatte!
Durchs Fenster in die dunkle Nacht
hinausblickend erschien mir diese beinahe unheimlich, sogar unheilbringend.
Mutlos schlug ich mich wieder auf meiner schon vertrauten Holzbank nieder. Bis
zum frühen Einbruch des Tages musste ich noch viele unruhige Stunden ausharren.
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