måndag 22 februari 2016


Qualen, Warten und ungewisses Wetter

Vor einer Stunde hatte ich als Pilot eines einmotorigen Sportflugzeuges, einer Cessna, am Wiener Flughafen um Starterlaubnis gebeten. Der Flugleitung teilte ich mit, dass ich nach Salzburg fliegen wollte. Meinen Pilotenschein und andere Dokumente hatte man geprüft und mein Ansuchen genehmigt, mich aber gleichzeitig vor einem aufziehenden Tiefdruck gewarnt. Es wurden dicke, tiefliegende Wolken, heftiger Regen und Gewitter erwartet. Das Unwetter schien auch zuzunehmen, statt abzuklingen. Da mir mein Flugschein kein Erlaubnis einräumte, nach Einbruch der Dunkelheit zu fliegen, würde ich jedenfalls nicht vorm Morgengrauen starten können, und jetzt war ich mir nicht mal sicher, ob ich eben dann – wegen des schlechten Wetters – starten könnte!

Im Warteraum in dem ich nun ungeduldig auf das Morgenlicht wartete hingen an der Decke ein paar lange fluoreszierende Röhrenlampen deren kaltes bläuliches Licht über die spartanische Einrichtung fiel. Entlang einer der Wände stand eine lange Holzbank worauf ich mich setzte, um die Zeit tot zu schlagen. Diese erschien mir jedoch unendlich lang. Mein Blick fiel nun auf eine runde weiße Uhr mit schwarzen Zeigern, die auf der gegengesetzten Wand hing. Sie bewegte sich kaum. Jede Minute erschien mir wie eine Ewigkeit. Manchmal hatte ich den Eindruck, als ob die Uhr stehengeblieben sei, dann aber rückte plötzlich der Minutenzeiger ein Stück weiter, um mich darauf aufmerksam zu machen, dass eine neue Ewigkeit begonnen hatte. Ich war furchtbar müde, erlaubte mir aber nicht einzuschlafen, da ich mich auf keinen Fall verschlafen durfte.

Aus welchem Grund saß ich eigentlich -  in dieser tiefen Nacht zum 19. August 1966 – auf einem scheinbar leeren Flugplatz, auf die Dämmerung wartend.  Der Grund hieß Isolde.  So bald es hell wurde, sollte ich sie mit einem kleinen Sportflugzeug, das ich eben zu fliegen gelernt hatte, auf einer Wiese in der Tschechoslowakei abholen und über den Eisernen Vorhang gen Westen hinausfliegen.

Vor 16 Monaten hatten wir uns in einem Zug am Ostberliner Hauptbahnhof getroffen.  Nach drei Monaten trafen wir uns wieder, nach weiteren drei Monaten waren wir uns sicher ein gemeinsames Leben führen zu wollen, was leichter gesagt als getan war. Die Berliner Mauer war gerade mal vier Jahre alt und sah überhaupt nicht brüchig aus. Für Isolde gab es keine Chance auf legalem Weg aus der DDR zu mir nach Schweden zu kommen. Wir mussten deshalb für sie einen Fluchtweg finden.

Viele Fragen häuften sich. Wie sollten wir unsere Idee verwirklichen? Hatten wir überhaupt eine realistische Chance auf Erfolg? Was konnten wir tun, um die Risiken zu minimieren? All dies hatten wir diskutiert und so gut wie wir es vermochten beantwortet. Im Geheimen fragte ich mich jedoch, ob Isolde, die mich letztlich nur sporadisch für kurze Zeit traf, wirklich ihr Leben aufs Spiel setzen würde, um es mit mir zu teilen. Auch auf diese Frage sollte ich schon bald eine Antwort bekommen.

Bereits von Anfang an verstanden wir wie waghalsig unser Plan war, schoben doch, wie viele andere junge verliebte Paare, unsere Ängste in den Hintergrund. Wir waren von  Hoffnung und romantischen Träumereien, aber auch von Unruhe und Sehnsucht erfüllt. Als 26-jähriger wurde ich von einer intensiven, beinahe kindlichen Anspannung vor dem bevorstehenden Abenteuer angespornt. Doch jetzt, als es bereits vor der Tür stand, mich draußen in der Dunkelheit herausforderte, erschien mir das Alles gar nicht mehr so verlockend. Statt mich romantischen Gefühlen hinzugeben überkam mich eine ängstliche Beklommenheit vor dem was mit uns geschehen könnte. Eine Menge unterschiedlichster Unfallszenarien wanderten durch mein von Angst geplagtes Hirn.

Wir hatten jetzt den Höhepunkt eines zehn Monate andauernden Wartens und detaillierten Vorbereitens erreicht. Trotzdem gab es noch vieles was schief gehen könnte. Vielleicht würde ich nicht mal den Platz finden, auf dem ich landen sollte. Obwohl ich das Feld selbst ausgewählt hatte, war mir doch das umliegende Gebiet grössten Teils unbekannt. Ein Pilot mit einem neulich erhaltenen Flugschein kann sich leicht in einem ungewohnten Luftraum verirren. Meine praktische Ausbildung in Bezug auf Navigation hatte nur ein paar Stunden gedauert, eine sehr kurze Zeit in Anbetracht der Aufgabe vor der ich nun stand. Meine vorher empfundene Begeisterung angesichts des geplanten Abenteuers hatte sich plötzlich in Luft aufgelöst. Die Herausforderung, die bisher eine meiner Antriebskräfte war, spornte mich nicht weiter an. Ich fühlte mich unwohl, hatte einfach Angst und hätte am liebsten alles hingeschmissen, wenn ich Isolde nur in meine Arme hätte schließen und ihre warme zarte Wange an die meine drücken können.

Ich stellte mir vor wie sie ganz alleine im Dunkeln bei einem Rinnsal am Rande einer Weide auf der Ostseite der Grenze zur Tschechoslowakei mit derselben Angst, die auch ich hatte, auf mich wartete. Verglichen mit ihr hatte ich es bedeutend besser in einem, wenn auch langweiligen doch trockenen, warmen und hell erleuchteten Raum, während sie sich gegen Mücken in der feuchten Dunkelheit wehren musste und gleichzeitig einen sicherlich noch schwereren Kampf gegen ihre Angst führte.

Nach einer guten Stunde verließ ich das armselige Zimmer, um die Meteorologen aufzusuchen. Sie waren gerade damit beschäftigt die aktuellen Wetterdaten zu analysieren mit allem was dazu gehört wie Luftdruck, Temperatur, Windverhältnisse, etc. Wer sich schließlich mir und meinem Anliegen widmete war ein etwas älterer Herr mit kahlem Scheitel, grauen Haaren an den Schläfen, buschigen Augenbrauen, dazu einem üppigen Schnurrbart sowie Koteletten, die bis zu den Mundwinkeln reichten. Ungefähr so muss Kaiser Franz Josef mal ausgesehen haben, dachte ich. Als ich ihm zeigte welche Route ich fliegen wollte, schüttelte er besorgt seinen Kopf und sprach:
-          Junger Herr, für einen Flug in einer kleinen Cessna von hier nach Salzburg ist die gegenwärtige Wetterlage wirklich nicht geeignet. Das zunehmende Unwetter wird wahrscheinlich die restliche Nacht und den ganzen Vormittag dauern.

Dann fügte er hinzu, als ob er mich trösten wollte, dass das Wetter gegen Mittagszeit etwas besser werden könnte. Für mich war dies kein großer Trost. Ich bedankte mich aber höflich für seine deprimierende Prognose, während ich mit hart auf einander gepressten Lippen alle Wettermächte verfluchte, die sich versammelt hatten, um meine Pläne so erbarmungslos zu durchkreuzen. Auf Grund eines anhaltenden Tiefdrucks war ich also in eine Situation geraten, in der meine ganze Mühe, alle meine Pläne, Vorbereitungen und Hoffnungen zwecklos erschienen, und buchstäblich dem Bach herunter gespült werden konnten.

Seit einem knappen Jahr hatte ich wirklich versucht alle Eventualitäten vorauszusehen. Jeder Schritt in der geplanten Kette von vorhersehbaren Ereignissen war genau vorbereitet, jedenfalls so fern es überhaupt möglich war. Von Anfang an war mir völlig bewusst, dass ich nichts dem Zufall überlassen durfte,  dass alles im kleinsten Detail geplant und genau klappen musste. Aber wer zum Teufel kann das Wetter planen!? Das gelang ja nicht mal bei der Invasion der Normandie, die unbestreitbar ein etwas grösseres Projekt war, als das, worauf ich mich eingelassen hatte!


Durchs Fenster in die dunkle Nacht hinausblickend erschien mir diese beinahe unheimlich, sogar unheilbringend. Mutlos schlug ich mich wieder auf meiner schon vertrauten Holzbank nieder. Bis zum frühen Einbruch des Tages musste ich noch viele unruhige Stunden ausharren.

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