Isolde allein am Feld beim ersten Fluchtversuch auf
HC wartend
Dieser Abschnitt wurde
von Isolde verfasst.
Das Auto mit HC
rollte vorsichtig den holprigen Pfad voller Traktorspuren entlang, bis hin zur
Landstraße. Dort verschwand es aus meinem Blickfeld. Von nun an war ich in
diesem engen Graben, längs einer Wiese, die ich kaum in der Dunkelheit erahnte,
völlig auf mich allein gestellt. Die Finsternis war angsteinjagend: es gab
keinen Mondschein, nicht mal einen Sternenhimmel. Das dunkle Himmelsgewölbe
erschreckte mich. Ich fühlte mich einsam und verlassen. HC hatte mir freilich
von diesem Platz erzählt, aber erst als ich ihn sah, begriff ich wie öde er
wirklich war. Meine Kleidung, für diese Situation eine ganze Nacht unter freiem
Himmel in einem sumpfigen Graben zu verbringen, war äußert ungeeignet. Ich
wickelte meinen Regenmantel so gut es ging um mich und setzte mich von meinem
engen Rock behindert auf meine Handtasche, im Schutze einiger Büschen. Um den
Kopf wickelte ich mein rotes Tuch.
Ich fragte mich wie
ich hier die Nacht verbringen sollte. Hasse würde ja nicht vor der
Morgendämmerung kommen – falls er überhaupt kommt, genauer gesagt. Dann soll
ich ihm mit dem Schal zuwinken. Aber bis dahin war es noch lang, ich musste
noch viele Stunden durchhalten. Wie viele Stunden sind es eigentlich, dachte
ich nervös und zählte sie unruhig einer nach der anderen an meinen Fingern ab.
Sieben-acht vielleicht, eine wahnsinnig lange Zeit für jemanden wie mich, der
fast nachtblind war und schon unter normalen Umständen die Dunkelheit nicht
mochte.
Was man mit einem
Sinn nicht wahrnehmen kann, gleicht man mit anderen aus, was bedeutete, dass
jedes Rascheln im Gras entlang des Baches und jedes Rauschen im Laub der Erlen
mich erschreckten. Ich spürte, wie mir kalte Schauer über den Rücken liefen,
bekam Gänsehaut am ganzen Körper. Es war unangenehm nicht zu wissen, was die
Geräusche verursachte! Manchmal wurde es ganz still, eine Stille, die nur vom
Flügelschlag unterbrochen wurde. Ich glaubte, er käme von Fledermäusen. Doch
plötzlich erschauderte mich ein ausdauernd surrendes Geräusch verursacht von
einem näherkommenden Mückenschwarm, der mein Blut begehrte. Meine nackten Beine
und Hände, mein Gesicht und mein Nacken wurden alle Ziel ihrer intensiven
Attacken. Die vielen Bisse juckten unerträglich, bis ich mich an die kleine
Flasche mit Mückenöl erinnerte, die mir HC im Nebenbei in die Tasche gesteckt
hatte. Dieser Junge hatte doch an alles gedacht, wie lieb von ihm.
………….
Entspanne dich
Isolde, sagte ich mir, behalte doch die Ruhe, es sind ja nur Insekten, nicht
wert eine Unmenge Adrenalin zu vergeuden. Zu meinem Erschrecken hörte ich aus
der Ferne ein dumpfes und anhaltendes Geräusch, das immer näher kam. Schon
fielen die ersten Regentropfen, gefolgt von Blitzen, die den ganzen Himmel
erhellten. Kurz danach goss es so intensiv als wären alle Himmelspforten
geöffnet.
Meine Situation,
bisher unangenehm, verschlimmerte sich jetzt noch. Ich versuchte mich so klein
wie möglich zu machen, um durch meinen Regenmantel einigermaßen geschützt zu
werden, aber er reichte nicht, um meinen Rumpf zu bedecken. Die Nässe, die den
Mantel durchdrang und meine kalten Füße, beide ganz schön unbehaglich, nichts
nachdem man sich sehnte. Noch unerträglicher waren meine zunehmende Furcht vor
dem schrecklichen Gewitter und meine Erinnerungen vom Kriege, die mich jetzt
bedrängten und die ich am liebsten für immer und ewig vergessen hätte. Damals
war ich nur drei ein halb Jahre. Gemeinsam mit meiner Familie waren wir
gezwungen, in einem Straßengraben Schutz vor den Bomben zu suchen und ich
erinnerte mich schaudernd daran, wie meine Mutter mich dicht an den Boden
drückte, während die Bomben um uns herum explodierten, Phosphor den Himmel
erleuchtete wie ein Feuerwerk. Bis zum heutigen Tage liegt mir immer noch der
Erdgeruch in der Nase. Ich fühlte mit Schaudern den kalten, feuchten Boden von
damals.
Nach und nach
entfernte sich das Gewitter und der Regen nahm ab. Mit Mühe stand ich auf,
streckte meine steifen Glieder. Wie ein nasser Hund schüttelte ich die Regentropfen
von mir, fror und versuchte mich so gut wie möglich durch verschiedene
Bewegungen aufzuwärmen. Zu laufen traute
ich mich nicht aus Furcht, dass man mich entdecken konnte. Außerdem hinderten
mich daran meine ehemals schönen Schuhe, die jetzt fest im Morast steckten.
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